Körpergewicht & Hormone: Warum es nicht nur um Disziplin geht
- sruhnau1
- 30. Juli
- 5 Min. Lesezeit
„Du musst einfach weniger essen und dich mehr bewegen.“ Ein Satz, den viele Frauen nur allzu gut kennen. Wenn die Zahl auf der Waage stagniert oder steigt, fühlen sich viele frustriert – und geben sich selbst die Schuld. Mehr Disziplin, weniger Kohlenhydrate, mehr Sport, intermittierendes Fasten? Doch was, wenn all das nichts bringt?
Die Wahrheit ist: Körpergewicht – insbesondere bei Frauen – ist deutlich komplexer, als viele es uns glauben machen. Denn unser Hormonhaushalt spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie wir Energie speichern, verwerten und wie sich Fett im Körper verteilt.

Zwischen Idealbild und echter Gesundheit
Was in Medien oder auf Social Media oft als „fit“ oder „gesund“ dargestellt wird, entspricht nicht zwangsläufig einem hormonell ausgewogenen oder für jede Frau gesunden Zustand. Unser weiblicher Körper ist nicht dafür gemacht, dauerhaft extrem schlank oder in ständiger Kalorienrestriktion zu leben.
Gerade in hormonellen Umbruchphasen wie der Perimenopause, nach dem Absetzen hormoneller Verhütung oder bei hormonellen Dysbalancen wie PCOS zeigt sich: Das hormonelle Gleichgewicht ist eng mit unserem Stoffwechsel, Hungergefühl, Fettverteilung und sogar mit Entzündungsprozessen im Körper verknüpft.
Lass uns also einen genaueren Blick auf die wichtigsten hormonellen Mitspieler werfen – und wie sie unser Körpergewicht beeinflussen.
Insulin – der Blutzucker-Regulator und Fetteinlagerer
Insulin ist ein anaboles Hormon, das bei erhöhtem Blutzucker ausgeschüttet wird. Es sorgt dafür, dass Glukose aus dem Blut in die Zellen aufgenommen und als Energie oder Fett gespeichert wird. Bei dauerhaft hohen Insulinspiegeln – etwa durch häufige Snacks, zuckerreiche Ernährung oder chronischen Stress – kann es zur sogenannten Insulinresistenz kommen. Die Folge: Der Körper braucht immer mehr Insulin, um den Blutzucker zu regulieren – und lagert vermehrt Fett ein, insbesondere im Bauchbereich.
Insulin beeinflusst auch andere Hormone, z. B. Testosteron. Bei PCOS (polyzystisches Ovarialsyndrom) gilt eine Insulinresistenz inzwischen als treibende Ursache – sie fördert die Ausschüttung männlicher Hormone, die wiederum Zyklusstörungen, Akne und vermehrte Fetteinlagerung begünstigen.
Cortisol – das Stresshormon
Cortisol wird in der Nebenniere produziert – besonders bei Stress, Schlafmangel oder Fasten. Kurzzeitig ist das nützlich und sorgt für Energie, langfristig kann es jedoch problematisch werden:
Es hemmt die Schilddrüsenfunktion.
Es fördert die Fetteinlagerung, insbesondere am Bauch.
Es erhöht den Blutzucker – was wiederum Insulin triggert.
Es fördert den Muskelabbau - und reduziert so wiederum den Grundumsatz.
Besonders wichtig für Frauen: Zu viel Cortisol kann den Eisprung unterdrücken, den Progesteronspiegel senken und Heißhunger triggern. Fastenkuren oder zu intensives Training ohne Erholung wirken hier oft wie zusätzlicher Stress – und führen nicht selten zu Gewichtszunahme statt -abnahme.
Östrogen – der Stoffwechsel-Booster
Östrogen beeinflusst unsere Körperzusammensetzung, den Fettstoffwechsel und sogar die Insulinempfindlichkeit. Es unterstützt die Speicherung von Fett an hüft- und oberschenkellastigen Stellen (subkutanes Fett), was als metabolisch günstiger gilt als viszerales Bauchfett. Es wirkt zudem appetitregulierend und entzündungshemmend.
In der Perimenopause (ab ca. Mitte 40) sinkt der Östrogenspiegel – und damit oft auch die Stoffwechselaktivität. Die Fettverteilung verschiebt sich Richtung Bauch, und die Muskelmasse nimmt ab. Das kann auch bei unverändertem Essverhalten zu Gewichtszunahme führen.
In einer klinischen Studie wurden Frauen vor und nach der Menopause verglichen. Bei gleichbleibender Ernährung und Bewegung kam es nach dem Östrogenabfall zu einer signifikanten Zunahme des viszeralen Fetts (Bauchfett). Die Gabe von Östrogen über transdermale Pflaster konnte diesen Effekt teilweise rückgängig machen (Lovejoy J. C. et al., 2008).
Schilddrüsenhormone – das Stoffwechsel-Taktgeber
T3 und T4 regulieren den Grundumsatz unseres Körpers – also wie viel Energie wir im Ruhezustand verbrennen. Ein Mangel (etwa bei Hashimoto, durch bestimmte Nährstoffmängel oder nach starker Diät) kann zu Antriebslosigkeit, Verstopfung, Kälteempfinden, Zyklusproblemen und Gewichtszunahme führen – selbst bei gleichbleibender Ernährung.
Wichtig: Bei unerklärlicher Gewichtszunahme sollte immer auch die Schilddrüse mit untersucht werden – einschließlich fT3, fT4, TSH und idealerweise auch Antikörpern (TPO, TG-AK).
Ghrelin & Leptin – Hunger und Sättigung
Zwei oft übersehene Hormonspieler beim Thema Gewicht:
Ghrelin: Wird im Magen gebildet und steigert den Hunger. Es steigt z. B. bei zu wenig Schlaf, bei Stress oder nach Diäten.
Leptin: Wird im Fettgewebe gebildet und signalisiert dem Gehirn: „Ich bin satt!“
Bei Übergewicht kann eine Leptinresistenz entstehen – das Hormon ist da, aber das Gehirn hört nicht mehr darauf. Das Sättigungsgefühl bleibt aus, der Heißhunger bleibt.
In einer Studie wurde gezeigt, dass bereits eine Woche mit nur 5 Stunden Schlaf pro Nacht zu einem Anstieg von Ghrelin und einem Abfall von Leptin führt – was mit erhöhtem Hunger und Appetit auf kalorienreiche Lebensmittel einherging (Taheri et al., 2004).
Entzündungen – der unterschätzte Einfluss
Chronische, niedriggradige Entzündungen (silent inflammation) können die Insulinempfindlichkeit verschlechtern, das Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringen und die Hormonproduktion stören. Sie entstehen u. a. durch Darmdysbiosen, Umweltgifte, stark verarbeitete Lebensmittel, aber auch durch Schlafmangel und Stress.
Entzündungen erhöhen zudem die Cortisolproduktion – was, wie oben beschrieben, die Fetteinlagerung begünstigen kann. Auch hier ist ein Teufelskreis möglich.
Eine Ernährung, die nährstoffreich, antientzündlich und darmfreundlich ist, kann helfen, das hormonelle Gleichgewicht zu unterstützen.
Fazit: Es geht nicht um Disziplin – sondern um Verständnis
Viele Frauen geben sich selbst die Schuld, wenn das Abnehmen nicht klappt. Doch oft liegt die Ursache in einem hormonellen Ungleichgewicht – und nicht in mangelnder Disziplin. Statt Diäten und Fasten (die gerade bei Frauen oft mehr schaden als nützen), braucht es ein ganzheitliches Verständnis:
Nährstoffreiche, bunte, eiweiß- und ballaststoffreiche Ernährung
Stressreduktion und Schlaf
Regelmäßige Bewegung (aber nicht übertrieben)
Hormonelle Balance (inkl. Schilddrüse, Zyklus, Insulin, Cortisol)
Du bist nicht „schuld“, wenn dein Körper nicht so funktioniert, wie du es dir wünschst. Aber du kannst ihn besser verstehen – und ihm geben, was er wirklich braucht.
Quellen:
Epel, E. S. et al. (2000). Stress and body shape: stress-induced cortisol secretion is consistently greater among women with central fat. Psychosomatic Medicine. 62(5):623-32.
Taheri S. et al. (2004). Short sleep duration is associated with reduced leptin, elevated ghrelin, and increased body mass index. PLoS Medicine. 1(3):e62.
Medzhitov, E. (2008). Origin and physiological roles of inflammation. Nature. 454(7203):428-35.
Lovejoy, J. C. et al. (2008). Increased visceral fat and decreased energy expenditure during the menopausal transition. International Journal of Obesity. 32(6):949-58.
Riant, E. et al. (2009). Estrogens protect against high-fat diet-induced insulin resistance and glucose intolerance in mice. Endocrinology. 150(5):2109-17.
Asarin, L. & Geary, N. (2013). Sex differences in the physiology of eating. American journal of physiology. Regulatory, integrative and comparative physiology. 305(11):R1215-67.
Fahrenholtz, I. L. et al. (2018). Within-day energy deficiency and reproductive function in female endurance athletes. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports. 28(3):1139-1146.
Kawai, T. et al. (2021). Adipose tissue inflammation and metabolic dysfunction in obesity. American Journal of Physiology-Cell Physiology. 320(3):C375-C391.
Diamanti-Kandarakis, E. & Dunaif, A. (2022). Insulin resistance and the polycystic ovary syndrome revisited: an update on mechanisms and implications. Endocrine Reviews. 33(6):981-1030.
Liu, Y. et al. (2024). Stress-induced obesity in mice causes cognitive decline associated with inhibition of hippocampal neurogenesis and dysfunctional gut microbiota. Frontiers in Microbiology. 30:15:1381423.




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